Heutzutage meist unpersönlich, wenn nicht gar nur ein ungemütlicher und zugiger Unterstand, so war das Warten auf die Züge zu Großherzogs Zeiten noch deutlich komfortabler. In den Wartesälen / Warteräumen für die erste und zweite Klasse sowieso. Aber auch die Wartesäle der dritten und vierten Klasse wiesen durchaus noch diverse Annehmlichkeiten auf, Bewirtung war wohl fast immer gegeben. Einige Ansichten von großen und kleinen Bahnhöfen möchte ich im Folgenden zeigen.
Am 04.06.1910 warf eine Windhose die 5 letzten Waggons eines fahrenden Güterzuges aus den Schienen und auf die Böschung.
Über die Windhose der Stärke F3 (254 – 332 km/h) wurde verschiedentlich berichtet:
„24 km westlich von Oldenburg, warf zwischen Ocholt und Zwischenahn 2 Güterwagen eines fahrenden Zuges um“ (Quelle: A. Wegener: Wind- und Wasserhosen in Europa, 1917). Weiter aus einer Meldung der Coburger Zeitung vom 07.06.1910: „Oldenburg, 4.Juni. Eine Windhose hat heute nachmittag auf der Strecke Zwischenahn – Ocholt neun Güterwagen eines nach Leer fahrenden Güterzuges umgeworfen. Ein Bremser wird vermißt. Man nimmt an, daß er sich unter den umgestürzten Güterwagen befindet. Die Telegraphenleitungen nach Ocholt und Westerstede sind ebenfalls zerstört.“ – Weiter aus einer Meldung der Freiburger Zeitung vom 06.06.1910: „Ueber einen Eisenbahnunfall auf der Strecke Zwischenahn-Ocholt (Oldenburg) wird amtlich vom 5. Juni mitgeteilt: Heute nachmittag 5 Uhr wurden von dem Güterzuge Nr. 6826 bei Kilometer 19,3 die neun letzten Güterwagen durch einen Wirbelsturm aus dem Gleise gehoben, vier davon sind in den Bahngraben gestürzt. Menschen sind nicht verletzt.“
Der letzte Zug von Oldenburg nach Neuschanz verließ am 26. Juli 1913 kurz nach Mitternacht den Haltepunkt Hilkenborg. Dieser ist der letzte Halt vor der Drehbrücke über die Ems. Der relativ kurze Zug ist der Uhrzeit geschuldet relativ leer, nur 14 Passagiere besetzen die Waggons.
Auf der Fahrt von Oldenburg hatte der Zug bereits 10 Minuten Verspätung, daher musste es schnell gehen in dieser nebeligen Nacht. Obwohl die Brücke, nachdem ein Schiff durchgelassen wurde, noch nicht wieder geschlossen war, setzte sich der Zug mit der oldenburgischen P 4.2 „VENUS“ in Hilkenborg in Bewegung und nahm Fahrt auf. Erst kurz vor dem noch geöffneten Brückenteil bemerkte die Likbesatzung – Lokführer Janssen 4 und Heizer Lütje 3 (beide aufgrund der Häufigkeit der Namen mit Nummern als Zusatz geführt) – die Gefahr. Trotz sofort eingeleiteter Vollbremsung und anschließendem Gegendampf rutschten das Drehgestell und die ersten beiden Achsen der Lok über die letzte Schwelle, bevor der Zug endgültig zum Stehen kam. Nur noch gehalten vom Federausgleichshebel und vor allem der Kupplung zum Tender neigte sich die Lokomotive gefährlich hinunter zur Ems.
Der Brückenwärter Bleeker auf der anderen Emsseite hatte, als er den Zug bemerkte, noch versucht, den Drehteil der Brücke zu schließen, allerdings vergeblich. Bis auf wenige Meter war die Brücke herangekommen, als die „VENUS“ über die letzte Schwelle rutschte.
Bei dem Unglück ist keiner der Passagiere zu Schaden gekommen, auch die Lokbesatzung blieb unversehrt.
Für die Bergung der Lokomotive musste ein Schwimmkran der Marinewerft in Wilhelmshaven herangeschafft werden. Wenige Tage nach dem Unglück wurde sie geborgen du in die Hauptwerkstätte in Oldenburg geschafft, wo sie instand gesetzt wurde. Der Betrieb auf der Strecke nach Neuschanz konnte am Nachmittag des 30. Juli wieder aufgenommen werden.
Über die Schuldfrage ist nichts wirklich belegbares überliefert, heroische Berichte wurden schon kurz nach dem Unglück gestreut, aber auch diese sind nicht bewiesen.
Einen Bericht aus den Hanomag Nachrichten Nr. 4 von 1920 habe ich hier bereitgestellt <Link einfügen>.
In dem Heft Bahnepoche Nr. 20 vom Herbst 2016 hat Hendrik Bloem diesen Unfall in eine schöne Geschichte verpackt.
Bericht aus der Zeitung „Rheiderland“
„Der Zug war mit mehreren Minuten Verspätung auf der Haltestelle „Hilkenborg“, die dicht vor der Emsbrücke liegt, angekommen. Eine Frau, die hier den Dienst versieht, hatte den Zug vorschriftsmäßig abgefertigt. Der Zugführer gab das Signal zur Abfahrt, dem der Lokomotivführer auch sofort Folge leistete. Keiner achtete auf das vor der Brücke sich befindende Signal, das noch auf „Halt“ stand und somit anzeigte, daß die Brücke offen und noch nicht passierbar war. Nur die Frau sah es und rief dem Zugführer nach, den Zug wieder halten zu lassen; jedoch vergebens; ihre Rufe gingen in dem Getöse verloren.
Unterdessen fuhr der Zug in langsamen Tempo seinem Verhängnis entgegen. Der Brückenwärter (er hieß Bleeker), der infolge eines gerade passierenden Schleppzuges die Drehbrücke nicht rechtzeitig hatte schließen können, sah die Gefahr, in der sich der Zug befand, und suchte ebenfalls durch Schreien die Aufmerksamkeit des Lokomotivführers zu erregen. Aber auch hier vergebens.
Da, wenige Meter vor der gähnenden Tiefe, blickte der Lokomotivführer hinaus und sah das grausige Verhängnis, dem er entgegenfuhr. Mit einer bewundernswerten Geistesgegenwart zog er blitzschnell die Luftdruckbremse und riß die Ventile auf, damit der Dampf ausströme; doch schon neigte sich die Lokomotive in die Tiefe. Mit einem kühnen Sprunge rettete sich Führer und Heizer auf den Tender. Ein heftiger Ruck, der den Zug erschüttern ließ, so daß die Passagiere unsanft durchgerüttelt wurden, und die Lokomotive rammte sich mit dem Aschenkasten auf dem Brückenpfeiler fest; gleichzeitig stellte sich der Tender hoch auf, und beide Kupplungen verkeilten sich.
Das hierdurch entstandene Gegengewicht machte es unmöglich, daß die Maschine ganz abstürzte. Sie blieb in der oben beschriebenen Lage hängen. Die nachfolgenden Wagen, ein Gepäck- und drei Personenwagen, blieben auf den Gleisen stehen. Sogar die hintere Achse des Tenders entgleiste nicht einmal. Ein Zeichen, in welcher Sekundenschnelle sich der ganze Vorgang abspielte.
Die ahnungslosen Passagiere – 14 an der Zahl – rissen erschreckt die Fenster auf und sahen mit Grauen, wie nahe sie dem Tode waren. Sie wurden vom Zugpersonal über die Brücke zurückgebracht, mittels Fähre über die Ems gesetzt und dann mit einem sogleich herbeigeschafften Ersatzzug ihrem Bestimmungsort zugeführt.
Führer und Heizer begaben sich wieder auf ihren Posten und verließen denselben nicht eher, bis der Kessel entleert, das Feuer gelöscht und jede weitere Gefahr beseitigt war.“